Donnerstag 18.8.2016, Münster
Um 16.30 Uhr verließen Sophie und
Beauchamps das Haus in der Turmstraße.
„Es ist für Sie einfacher, wenn ich Sie bis
zum Büro von Rick Odenthal begleite. Für
Münsteraner zwar leicht zu finden, Sie
müssten wahrscheinlich fünfmal fragen.
Bus oder zu Fuß?”
„Wie weit ist es?”
„Zwanzig Minuten zu Fuß, zehn Minuten
mit dem Bus.”
„Dann gehen wir zu Fuß”, erwiderte
Beauchamps und war überrascht, als
Sophie sich bei ihm einhakte, ziemlich eng
sogar.
Vor dem Haushaltswarengeschäft
angekommen, sagte sie: „Ich gehe nicht
weiter mit. Schließlich handelt es bei dem
Gespräch um Familiengeheimnisse und ich
muss ja nicht alles wissen. Gehen Sie ins
Geschäft! Dort gibt es einen Aufzug,
lassen Sie sich in den dritten Stock
befördern. Dort befindet sich das Büro.
Man sieht sich.”
Beauchamps wurde hellhörig. Wie sollte er
den letzten Satz verstehen? Ihm war klar,
dass Sophie ihm wegen des verhinderten
Überfalls dankbar war, aber war hier mehr
im Spiel? Auf jeden Fall gab Sophie ihm
ein deutliches Zeichen.
Kurz vor 17.00 Uhr stürmte Greta Carlsson
das Büro ihres „Mannes” Rick Odenthal.
„Rick, so geht das nicht weiter.”
„Was geht so nicht weiter?”
„Unsere Beziehung. Sie ist degeneriert zu
einer ganz gewöhnlichen Beziehung. Oder,
wenn du willst, zu einer Beziehung, die du
mit dem französischen Wort ‚ordinaire‘
umschreiben könntest. Und das
französische ‚ordinaire‘ heißt zwar
gewöhnlich, klingt aber wie das deutsche
Wort ‚ordinär‘. Und das ist etwas anderes.
So geht das nicht weiter!”
„Wie stellst du dir denn unsere Beziehung
vor?”
„Sie sollte ungewöhnlich, außergewöhnlich
sein. Nimm das französische Wort
‚extraordinaire‘, das heißt jenseits der
Normalität. Also anders als andere
Beziehungen. Wir sind anders. Zwischen
uns hat es zu Beginn nicht gefunkt, das
war ein Blitzeinschlag, mehrere
hunderttausend Volt stark. Wenn wir so
weitermachen wie jetzt, dann bist du in
fünf Jahren Vorsitzender eines
Kleingartenvereins und ich leite die
vereinsinterne Stillgruppe. Willst du das?”
„Das mit dem Kleingartenverein kannst du
vergessen, aber ge-gen das Stillen habe
ich nichts.”
Greta holte hörbar Luft: „Das Prickeln
fehlt. Deine Reaktionen sind zurzeit
vorhersehbar. Vorhersehbar heißt
langweilig. Bin ich für dich langweilig?”
„Nein, atemberaubend. Was erwartest du
von mir?”
„Was ich von dir erwarte? Das bist wieder
typisch du. Wie kann ich überrascht sein,
wenn du mich fragst, was ich von dir
erwarte? Beweise mir, dass ich für dich
atemberaubend bin.”
„Also heute Nacht im Hafen schwimmen,
im Hafenbecken, vor einigen hundert
Augen und das ganze splitterfasernackt?”
„Das könnte aufregend werden, vor allem
für die Zuschauer, und wenn die Polizei
erscheint: Erregen öffentlichen
Ärgernisses!”
„Hör mal! Ich sehe dich tagtäglich
splitterfasernackt, in voller Pracht
sozusagen. Sollen wir das jetzt in die
Öffentlichkeit tragen?”
Es klopfte an der Tür.
„Herein!”, sagte Greta, etwas zu laut, fast
im Befehlston.
Ein Mann betrat den Raum.
„Guten Tag. Mein Name ist Jean-Luc
Beauchamps. Eigentlich habe ich einen
Termin für 17.00 Uhr bei Herrn Odenthal.
Komme ich ungelegen?”
„Überhaupt nicht. Mein Name ist Greta
Carlsson. Dort sitzt mein Mann Rick
Odenthal. Wahrscheinlich hat Sophie
Ihnen erzählt, dass ich und Rick, pardon,
Rick und ich nicht verheiratet sind. Unsere
Beziehung ist aber gefühlsmäßig eine Ehe.
Die Formalitäten holen wir demnächst
nach.”
„Demnächst?”, fragte Rick, stand auf und
begrüßte Beauch-amps. „Kann ich aus
deinem vor Zeugen ausgesprochenem
Satz deine Bereitschaft ableiten, dass du
demnächst meinen Antrag annimmst?”
„Das tue ich doch sowieso. Du entkommst
mir nicht mehr.”
„Das will ich ja auch gar nicht. Ich spare
dann schon mal für Ring, Rosen und
Schampus.“
„Schampus? Reicht Sekt nicht auch?”
„Du bist mir mehr wert.”
„Haben Sie das gehört Herr Beauchamps?”
„Sophie hat gesagt, ich würde Sie nie
vergessen. Ich glaube, Sie hat Recht.”
„Wie kommen Sie denn mit Sophie
zurecht?”
„Ich? Wieso?”
„Gehören Sie wie Rick auch zu dieser Art
von Männern, die gar nicht merken, dass
da was läuft?”
Jetzt war Beauchamps sprachlos. Dann
sagte er ganz ruhig und unaufgeregt:
„Bevor ich mir über so etwas Gedanken
mache, muss ich erst eine Angelegenheit
geregelt haben, die ich gerne mit Ihrem
Mann besprechen würde. Die Sache
könnte unter Umständen für mich tödlich
enden.”
Jetzt zuckte Greta etwas zusammen: „Soll
ich lieber gehen?”
„Das ist mir egal. Ich hoffe doch, dass
alles, was hier besprochen wird, nicht
nach draußen dringt.”
„Das können wir Ihnen versichern”, griff
Rick jetzt ein. „Es herrschen hier die
gleichen Regeln, wie im Beichtstuhl eines
katholischen Priesters. Was hier gesagt
wird, ist Beichtgeheimnis. Auf Greta
können Sie sich verlassen.”
„Gut. Dann komme ich einmal zu meinem
Problem. Ich suche Informationen zu
einem Vincent Roelvert aus Greven.
Allerdings wohnt er seit zweiundzwanzig
Jahren nicht mehr dort.“
„Also Vincent Roelvert? Wie schreibt er
sich?”
„R-O-E-L-V-E-R-T.”
„Also mit westfälischem Dehnungs-E wie
in Saerbeck oder Co-esfeld.”
„Richtig. Mein Problem ist, dass niemand
etwas über diese Nachforschungen
erfahren darf. Wenn Sie jemanden fragen,
müssen Sie sicher sein, dass derjenige
ebenso schweigt, wie ein katholischer
Priester. Es muss jemand sein, der Mitte
der Neunziger Jahre schon erwachsen
war.”
„Wenn es schnell gehen soll, rufe ich
meine Mutter an, denn ich selbst bin für
diese Information zu jung.”
„Machen Sie es!”
Leseprobe: Mein ist die Rache,
spricht der Herr